Tag: Bücherwelt

Trampelpfade hinterfragen

Es ist sehr bequem, auf gewohnten Pfaden zu trampeln und sie nicht zu hinterfragen. Bei den Dingen, die dir wirklich wichtig sind, empfiehlt sich aber ein Schritt neben den Pfad. Und dann ein paar Schritte in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, vorsichtig, aber bestimmt. Klingt paradox? Ist es auch! Muss es auch sein!

Schauen wir doch einmal ein paar fest verankerte Weisheiten unseres täglichen Lebens an. Weisheiten, die zu Trampelpfaden geworden sind, auf denen wir unhinterfragt weiter gehen:

  1. Man lernt aus Fehlern.
  2. Einschränkungen sind ein Nachteil.
  3. In der realen Welt funktioniert das nicht.
  4. Ich würde gerne, aber mir fehlt einfach die Zeit dazu.

Und hier die ersten Schritte in die andere Richtung. Weiter gehen musst und kannst du selber!

  1. Aus Fehlern lernst du nur, was nicht geht. Aber das bringt dich nicht weiter. Aus Erfolgen hingegen lernst du, was funktioniert. Und das kannst du wiederholen und verbessern. Übrigens funktioniert die Evolution genau so: Erfolgreiches verbessern.
  2. Einschränkungen sind  nicht nur kein Nachteil, im Gegenteil beflügeln sie die Fantasie und machen dich kreativ. Beispiel Literatur: Warum tun sich grosse Schriftsteller Sonette an, Hexameter, Limericks und Haikus? Weil diese formalen Einschränkungen die Fantasie beflügeln. Und so ist es auch im täglichen Leben. Einschränkungen sind versteckte Vorteile. Finde Sie!
  3. Mit der Aussage, dass so etwas in der realen Welt niemals funktionieren kann, werden viele guten Ideen im Keim erstickt. Ist ja klar, wenn es so einfach wäre, dann hätten das andere schon lange gemacht. Dabei geht vergessen, dass es mit einer guten Idee nicht getan ist. Ideen haben ist einfach. Entscheidend aber ist, dass du die Idee umsetzt. Was du tust ist entscheidend, nicht was du denkst oder sagst! Also: beginne damit. Die „reale Welt“ ist nämlich kein Ort, sondern nur eine billige Entschuldigung!
  4. Wenn du keine Zeit dafür hast, dann willst du es auch nicht wirklich. Denn wenn du etwas wirklich, wirklich willst, dann findest du die Zeit. Stiehl dich also nicht aus der Verantwortung. Zeit ist nicht etwas, das man hat, sondern etwas, dass man sich nehmen muss. Also nimm sie dir!

Wenn dich das Thema interessiert:


Du bist alles. Und nichts.

Die Luft, die du ausatmest, atme ich ein. Der Gedanke, den ich äussere, schwirrt in deinem Kopf herum (lies nur weiter, du wirst schon sehen ;-) ).

Soweit ist das ja ganz in Ordnung. Sobald etwas meinen Körper verlässt (Luft, Schallwellen), bin ich nicht mehr Herr darüber. Also für uns ist das in Ordnung. Für uns, die wir ein Konzept von “Ich” im Kopf haben, welches im Grossen und Ganzen als Hautsack, der Fleisch und Knochen umschliesst, definiert werden kann. Alles,  was sich innerhalb meiner Haut befindet, darüber kann ich verfügen, ausserhalb davon ist die Aussenwelt, der ich ausgeliefert bin. Der Flügelschlag eines Schmetterlings in Hinterindien verursacht einen Gewittersturm in Westeuropa. Aber ich habe nichts damit zu tun.

Dieses Konzept ist falsch. Trägst du eine Armbanduhr oder ein Schmuckstück? Bist du das? Nein, das bist nicht du, das ist dein Schmuckstück, deine Uhr. – Aber der Arm, der das Schmuckstück trägt, bist das du? Nein nein, das ist dein Arm. – Und wie ist es mit dem Körper, an dem der Arm baumelt? Wieder Fehlanzeige, das ist bloss dein Körper. – Wenn wir noch einen Schritt weiter gehen, dann bist es vielleicht du, der zu mir spricht, der mir antwortet? Nein, das ist bloss deine Stimme, sind bloss deine Worte, die durch deinen Mund artikuliert werden. – Ok, aber jemand muss ja dem Mund befehlen, zu sprechen, und ihm auch vorgeben, was er sagen soll. Bist das du? Nein, das sind deine Gedanken. – Und der Stolz auf das Schmuckstück? Das sind deine Gefühle.

Ja aber wo ist des denn, dieses “Ich”? Huhuh? Atmest Du noch? Wächst du noch immer deine Haare, schlägst du dein Herz? Siehst du, was hier steht? Ich meine, ist das etwas, was du machst? Organisierst du das funktionieren deiner Augen? Kümmerst du dich um deine Atmung, deine Gefühle, deine Gedanken? Oder ist es nicht eher so, dass das alles einfach passiert? Deine Atmung, deine Gedanken, deine Gefühle, alles passiert, geschieht. So wie auch die Wellen auf dem Meer geschehen, der Sonnenaufgang und die Lawine. Der Wind geschieht heute vielleicht kühl, der Himmel passiert blau und das Meer wogend. Die Atmung geschieht flach, die Gedanken aufgewühlt. Alles ist ein riesengrosses Geschehnis, ein Happening. Und alles bist du! Alles gehört untrennbar zusammen. Es besteht kein Unterschied zwischen dem Geschehen deines Atems und dem Geschehen des Windes. Beides ist Luft, die sich bewegt.

Ich meine: Atmest du? Dein Atmen, dein Denken, dein Fühlen, dein Hören, dein Sehen, all das machst du nicht, es passiert.

Du kannst deine Gedanken nicht kontrollieren (oder hör mal auf zu denken!). Deinen Herzschlag auch nicht. Deine Atmung nur sehr eingeschränkt (oder atme mal für 5 Minuten nicht). Und deinen Bewegungsapparat so mehr oder weniger (Handstand? Salto?).

Viel zutreffender wäre: das Hirn denkt (nicht Ich denke), das Herz schlägt, das Universum bewegt sich, und ich füge mich ein. Denn nur wenn sich das Universum an der entsprechenden Stelle einzieht, kann ich meinen Arm dort ausstrecken! Sowieso brauchen wir dieses Konzept von “Ich” sehr undifferenziert. Wir sagen: mein Haus, mein Freund, meine Hose, meine Magengrube, meine Gedanken. Aber: die Luft, das Wasser, die Erdanziehung. Als ob das eine zu uns gehört, und das andere nicht. Ohne Haus und Freund könnten wir problemlos überleben, ohne Luft und Wasser jedoch nur sehr kurze Zeit.

Der Flügel eines Schmetterlings in Hinterindien schlägt – einen Gewittersturm tobt in Westeuropa – dein Herz schlägt – in deinem Kopf toben Gefühle. Alles passiert einfach. Für sich, miteinander, nacheinander, durcheinander. Natürlich gibt es Ursachen und Wirkungen, aber das geschieht nicht in Ketten, in Linien.  Ursache und Wirkung geschehen netzförmig. Jede Ursache ist die Wirkung mindestens einer anderen Ursache. Jede Wirkung hat also mehrere Ursachen. Und alles läuft nicht von der Vergangenheit in die Zukunft, sondern auch in die andere Richtung! (Aber davon ein andermal mehr!)

Nimm dich nicht so wichtig – nur so wichtig, wie du wirklich bist. Du bist Teil vom Ganzen. Das Ganze aus dem Blickwinkel eines Teils. Alles hat die Bedeutung, die du ihm gibst. Das ist alles, was du dazu beiträgst. Nicht mehr und nicht weniger.

(frei nach Alan Watts, Steve Grand)


Merci, lieber Mercier

Bin grad Mercier am Lesen – Nachtzug nach Lissabon. Gefällt. Sogar sehr! Vor allem die Aussage, die er dem kursiven Protagonisten in den Mund legt, dass Liebe Kitsch sei. Nur Begierde, Wohlgefallen und Geborgenheit existieren. Und alle drei seien flüchtig, am wenigsten die Geborgenheit, aber letztlich auch sie. Mir gefällt der Gedanke, vor allem, weil der Begriff “Liebe” derart abgegriffen ist. Schon als Primarschüler habe ich ihn in Poesiealben verwendet, heute begene ich ihm auf jeder Zuckerpackung (einer der Gründe, weshalb ich meinen Kaffee ungezuckert trinke). Mittlerweile ist mir der Begriff suspekt.

Wie weit sind die Begriffe zu trennen und zu unterscheiden? Begierde ist der am schnellsten zu befriedigende, dafür auch der flüchtigste. Immer schneller dreht sich das Rad: Zuerst braucht es mehr und mehr der gleichen Lust, in immer kürzerer Folge. Dann steigern sich die Ansprüche und in zunehmender Geschwindigkeit verkomplizieren sich die Bedürfnisse und Lustgewinn kann nur noch in immer bizarreren Formen gefunden werden. Die Evolution der Sucht halt, denn das Rad kann nicht verlangsamt werden. Faszinierend und grausam gleichzeitig!
Geborgenheit ist der Zustand, wo alles stimmt. Der Hafen in rauer See. Die wohlige Höhle im eisigen Winter. Dieser Zustand ist selten und wird nicht einfach erreicht. Er ist eine Gnade, etwas, das einem widerfährt. Die höchste Form, die Geborgenheit im Universum, ist DAS spirituelle Ziel – mit je nach spirituellem Weg unterschiedlicher Bezeichnung.
Zwischen beiden Begriffen nun liegt der des Wohlgefallens. Während sich die Begierde im Laufe des Lebens immer schneller, die Geborgenheit immer langsamer evolviert, stellt das Wohlgefallen eine Konstante dar. Ich fühle mich besser, wenn ich einen schönen Menschen sehe oder schöne Musik höre. Natürlich entwickelt sich das Verständnis der Ästhetik im Laufe des Lebens, aber mengenmässig bleibt das Bedürfnis nach Wohlgefallen konstant.

Wendet man die drei Begriffe auf menschliche Beziehungen an, so werden sie in der Regel von verschiedenen Personen befriedigt. Von verschiedenen Personen im Verlaufe des Lebens, das ist offensichtlich. Ist es aber nicht auch so, dass die drei Begriffe auch in einer bestimmten Lebensspanne von verschiedenen Personen befriedigt werden (müssen, sollen, können)? Dass die Befriedigung aller drei Bedürfnisse durch eine Person die Ausnahme ist und dass nur diesfalls der Begriff der Liebe angemessen ist. Für eine spezielle Form davon haben wir sogar ein eigenes Wort: Mutterliebe. Natürlich strebt jeder nach diesem Ideal der liebenden Dreieinigkeit. Vernünftig jedoch ist das nicht. Viel vernünftiger wäre es, seine Energie auf etwas Erreichbareres zu richten, das regelmässige posten in einem Blog beispielsweise…

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